Dass das Mitgefühl nicht verloren geht!
Pfarrerin Anna-Maria Busch über das Gedenken an die Reichspogromnacht mit Jugendlichen
Sie schweigen lange. Später verstehe ich, dass sie angesichts des Leids sprachlos waren. Dann finden sie doch Worte: widerlich, entsetzlich, schockierend. Die Jugendlichen offenbaren ihr zutiefst empfundenes Mitgefühl mit den Opfern des Holocaust, dem großen unvergleichlichen Zivilisationsbruch.
Zusammen haben wir zuvor Stolpersteine im Stadtteil geputzt. Stolpersteine so heißen die Messingwürfel mit Namen und Daten von Menschen, die in die Fußwege vor den letzten Wohnorten eingelassen sind. Initiiert hat dies der Künstler Gunter Demnig.
Wir polieren also die Stolpersteine, singen jüdische Lieder vom Schalom, dem großen Frieden Gottes, entzünden Gedenkkerzen. Durch die vor Ort vorgelesenen Biografien werden aus namenlosen Opfern unter Millionen konkrete Individuen mit einem Leben, mit Angehörigen, Menschen wie Du und ich.
Die Konfirmanden und Konfirmandinnen reflektieren schnell und klug, dass uns dieses Gedenken anlässlich der Reichspogromnacht vor 85 Jahren für die Gegenwart mahnt. Und wie notwendig das ist. Selbst das Erschrecken über eine so große Katastrophe wie die Shoa schützt nicht vor der Wiederkehr von Menschenfeindlichkeit und Antijudaismus. Das steht uns in diesen Tagen wieder grauenhaft vor Augen.
Das Erste, was verloren geht, ist Mitgefühl und wird ersetzt durch Vorurteile und den Grundirrtum, es gäbe Menschen, die besser sind als andere.
Nachdem wir die Gedenkkerze entzündet haben beten wir mit Worten aus der hebräischen Bibel, dem Psalm 85: „…Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen.“
Pfarrerin Anna-Maria Busch, Pfarrerin im Südosten Leipzigs
kolumne@kirche-leipzig.de
Stolperstein, Foto: Ev.-Luth. Kirchenbezirk Leipzig