Geister vs. Fäuste
Anna-Maria Busch über gewaltfreie Streitkultur
„Lasset die Geister aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet stille.“ Mit diesen Worten Martin Luthers endet vor 35 Jahren am 4. November 1989 Friedrich Schorlemmer seine Rede auf der großen Demonstration in Berlin. Fünf Tage später fiel die Mauer. Aufregend und gleichermaßen angespannt war die Situation damals. Gefährlich auch. Man streitet um die bestmögliche Zukunft. Vielleicht auch um die am wenigsten schlimmste. Da prallen nicht nur Ideologien, sondern ganze Welten aufeinander. Und plötzlich stehen Fragen im Raum, wer hier was zu gewinnen und was zu verlieren hat.
„Lasset die Geister aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet stille.“
Wenn die Fäuste zum Einsatz kommen, dann haben alle verloren. Und es macht mich fassungslos, wie enthemmt sie in diesen Wochen gegen andere fliegen und Menschen Gewalt, auch verbal mit Beleidigungen und Drohungen, erfahren. Da denke ich auch an unsere jüdischen Geschwister, die 86 Jahre nach der Reichsprogromnacht wieder um ihre Sicherheit fürchten müssen, aber auch an einen Überfall auf das Grundstück meines Kollegen im Leipziger Land durch den rechten Mob.
Wenn die Fäuste fliegen, verlieren wir als Gesellschaft die gemeinsame Grundlage: Das Vertrauen in die Mitmenschlichkeit.
Die Auseinandersetzung, das Streiten um den bestmöglichen Weg oder zumindest um den besten Kompromiss ist nicht das, was wir zu fürchten haben. Dafür gilt jedoch heute, wie vor 35 oder über 500 Jahren in Zeiten der Veränderung: „Lasset die Geister aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet stille.“
Anna-Maria Busch ist Leipziger Stadtjugendpfarrerin
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de
Foto: epd-Bild