zwei menschen sitzen sich gegenüber und halten Kaffeetassen.

Hast Du mal ne Minute?

André Krause über heilsame Begegnungen im Alltag

Fast hätte ich die beiläufig klingende Frage „Hast Du mal ne Minute?“ überhört. Aus einer Minute wurden viele, mein Gegenüber machte seiner Seele Luft. Es sprudelte förmlich aus ihm heraus. Am Ende sagte er erleichtert und beinahe entschuldigend: „Jetzt hab ich Dir fast mein ganzes Leben erzählt. Aber es hat gut getan, all das mit Dir zu teilen!“ Dabei hatte ich nur zugehört, mein Ohr und meine Aufmerksamkeit geliehen.

Mich hat erschreckt zu lesen, dass wir uns mitten in einer Einsamkeitsepidemie befinden. Unsere Seele sehnt sich nach Verbindung. Forscher beschreiben gleichzeitig, dass sich Menschen weniger allein fühlen, wenn sie sich für nur 8 Minuten mit einem Freund oder einer vertrauten Person verbinden. Reden und Zuhören, ein kurzer Austausch, einen Moment füreinander Dasein reichen aus. Mir wird bewusst, wie äußerst kostbar solche Momente sind, wenn wir sie wahrnehmen.

„Du bist ein Gott, der mich sieht!“ ist der erleichterte Seufzer einer Frau in der Bibel, die höchst isoliert und verzweifelt war. Gott hatte ihren Herzens-Ruf gehört und sich ihr zugewandt. Daraus entstand Mut und Hoffnung für ihren weiteren Weg. Eine alte und doch ganz aktuelle Geschichte.

Wenn es so ist, dass 8 Minuten nahe Sein und Zuhören am Tag Balsam sind für die Seele, will ich, wenn nötig selbst mutig darum bitten und aufmerksam sein, wenn mich das nächste Mal jemand fragt: „Hast Du mal ne Minute?“

André Krause ist Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) Leipzig

Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Tobias Frick (fundus-medien)