Öfter gegenwärtig sein

„Mein Gott, du bist so fluchtergreifend.“ Das ruft beim Geburtstagsbesuch die betagte Jubilarin aus, als ihr Enkel nach wenig mehr als einer halben Stunde bereits wieder aufspringt. Aus ihm sprudelt heraus, was er heute alles noch zu tun hat, während er zur Tür eilt. Mir leuchten die vielen guten Gründe ein und dennoch bleibt der Satz hängen.

Eigentlich heißt es ja „die Flucht ergreifen“. Wer das tut handelt aus der Not. Vom Anfang der Bibel bis in die Gegenwart hinein stehen Flüchtlinge für Verlust, Unsicherheit, Bedürftigkeit. Die Großmutter jedoch macht die Flucht zur Eigenschaft des Enkels. Er sei „fluchtergreifend“. Darin steckt ihre Enttäuschung über den schnellen Abgang. Es klingt mit: „Ich mag es, wenn du da bist.“ „Bleib doch ein wenig länger.“ Ich höre aber auch eine Warnung, aus der Lebenserfahrung spricht: „Pass auf, dass deine vielen Pläne nicht zum Dauernotausgang werden. Wer immer nur weg will, der ist nie ganz da. So zerrinnt das Leben zwischen den Fingern, weil da keine Gegenwart mehr ist.“

Jetzt bekommt auch der Ausruf „Mein Gott!“ einen tieferen Sinn. Er ist wie eine Rückbindung im Sturz nach vorn. Wer dem ewigen Gott in seinem Leben mehr Zeit gibt, für den weitet sich Lebensraum. In ihm findet sich Heimat in der Gegenwart.

von Lüder Laskowski, Pfarrstelle für „Kirchliche Arbeit in neuen Stadtquartieren“
lueder.laskowski@evlks.de

 

Foto: Tobias Frick (fundus-medien)