“Ostergedanken”

– über Stillwerden und Aufstehen –

Straßenbahn. Letzter Wagen. Die Fahrt schüttelt den Tag ab wie ein nasser Hund. Sie hat die Stirn an die Scheibe gelehnt, Kopfhörer auf den Ohren, keine Musik. Gedanken dazwischen: verlorener Job, Freunde zu beschäftigt, letzte Zigarette verschenkt. Ein schwarzer Freitag. Der Wagen bremst ruckartig. Licht und Bildschirme flackern. Dann steht er still. Betretenes Schweigen. Unsichere Blicke. Eine Stimme im Lautsprecher verrät: Technische Störung. Gegenüber sitzt einer wie durchsichtig. Kapuze in die Augen gezogen. Ein unauffälliger Typ. “Scheißtag.” nuschelt er. “Bitte?” fragt sie. Er blickt auf. Treue, dunkle Augen. “Manchmal muss etwas zerbrechen, bevor etwas Neues aufbricht.” sagt er. Das Licht geht wieder an und die Türen der Straßenbahn auf. Er tritt hinaus. Sie hinterher.

Ostern ist das höchste Fest der Christen. Es geht um Kreuz und Auferstehung, Gottes Liebe, die auch paradoxe Wege nicht scheut und um eine unerschütterliche Hoffnung. Darin liegt auch Alltägliches und Menschliches: Dass Abbrüche Raum brauchen und Ruhe. Und dass diese Stille eine Schwelle sein kann, zum Aufstehen mitten im Leben, wie die Dichterin Marie Luise Kaschnitz das nennt. Wer still wird, lernt, was laut ist. Wer das Dunkel aushält, kann mehr Licht sehen. Warum also die stillen Tage nicht umarmen und hoffen, dass etwas wächst und aufsteht und Türen sich öffnen, für morgen und übermorgen.

Sebastian Schirmer ist Evangelischer Pfarrer im Leipziger Südosten
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Ostermorgen, Foto: Lutz Neumeier (fundus-medien.de)