Wissen, wie die Geschichte ausgeht

Friederike Ursprung über „Spoiler“ zum Karfreitag und Ostern

Ob ein lang erwarteter Film herauskommt oder die neue Staffel einer spannenden Serie – immer gilt: Bloß nicht spoilern! Bloß nicht vorher verraten, wer sich verliebt oder trennt, wer welche Intrigen anzettelt, ob jemand stirbt – und wie die Story ausgeht!

Eine andere große Geschichte kommt seit Jahrtausenden nicht ohne Spoiler aus – nämlich die, an die sich Christen in diesen Tagen erinnern: Was die Bibel über Jesus erzählt, wie er mit den Mächtigen in Jerusalem aneinandergeriet, wie er verraten und verhaftet wurde, angeklagt in einem skandalös unfairen Prozess, gefoltert, verspottet und schließlich am Kreuz hingerichtet.

Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt: Er, den seine Freunde als ihre große Hoffnung kennengelernt hatten, als den Sohn Gottes, er wird umgebracht.

Er selbst hatte das vorausgesehen und ihnen gesagt; sie wollten es nicht wahrhaben. Und hätten sie ständig den Spoiler im Kopf gehabt „er stirbt am Kreuz“, dann hätten sie die Zeit mit Jesus sicher nicht so wunderbar erlebt.

Und heute würden wir uns wohl kaum noch dran erinnern, wenn wir nicht seit 2000 Jahren wüssten, welche überraschende Wendung am dritten Tag folgte: Ostern feiern Christen die Auferstehung Jesu!

Denn anders als damals die Menschen in ihrer Trauer wissen wir, dass und wie die Geschichte weiterging – Gott sei Dank

Friederike Ursprung, evangelische Kirchenredakteurin bei Radio PSR
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Lutz Neumeier (fundus-medien)

Wann, wenn nicht jetzt

Grit Markert über einen guten Grund, nach Tokio zu fliegen

Es ist Buchmesse, wir sind mittendrin. Hier eine Kostprobe, eine Kurzgeschichte?

Sie ist 83, als sie ins Flugzeug steigt. Es geht nach Japan. Die einwöchige Rundreise hat sie bei einem Leipziger Reiseunternehmen gebucht. Englisch kann sie nicht. In Tokio wird sie zwei Tage Zeit haben. Zeit, um ihn zu treffen, vielleicht. Kennengelernt haben sie sich vor acht Jahren im Gewandhaus. Damals war neben ihr noch ein Platz frei. In der Pause hat er sich zu ihr vor gesetzt. Seitdem hat er sie schon einige Male besucht, wenn er wieder in Leipzig war.

Er ist Pianist. Schickt ihr Briefe mit Kranichen, ein Zeichen tiefer Verbundenheit. Nun will sie es wagen und ihn besuchen. Aber er meldet sich seit zwei Monaten nicht. Ist er krank? Woher soll sie es wissen. Sie fliegt trotzdem los, mit Gottes Segen. Im Hotel erwartet sie bereits eine Nachricht, dass das Taxi sie nachmittags 15 Uhr abholen und zu ihm bringen wird. Ja, er war krank, schwer krank. Drei Stunden haben sie zusammen Zeit. Drei Stunden zum Reden, Geschenke austauschen, sich an den Händen halten. Er spielt ihr etwas auf dem Klavier vor. Zurück zum Hotel, die Rundreise durch Japan geht weiter.

Wieder in Leipzig frage ich sie: Und, hat es sich gelohnt? Und sie antwortet: Oh ja, alles. Unbedingt.

Ich liebe diese wahre Geschichte von der Frau aus meiner Gemeinde. Und ich darf sie aufschreiben. Und Ihnen die Frage mitgeben: Was ist es bei Ihnen, bei dir, wo es heißt: Wann, wenn nicht jetzt?

Grit Markert, Pfarrerin/Coach im Alesius-Kirchspiel im Leipziger Osten
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Tobias Frick (fundus-medien)

Bibel, Koran und Tora etc. auf einem Bücherbrett nebeneinander

An der Seitenlinie

Der Gedanke zum Wochenende: Luise Binder über einen Balanceakt

Heute ist der Internationale Tag zur Bekämpfung der Islamfeindlichkeit. Puh. Und schon befinde ich mich im Dilemma.

Spätestens seit dem siebten Oktober bewegen wir uns, die wir gewissermaßen von der Seitenlinie auf den Konflikt zwischen Israel und der Hamas blicken, mit unseren Sympathien oder Antipathien immer zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Wie kann ich den Angriff auf Israel mit all seinen Gräueltaten aufs Tiefste verurteilen und zugleich meine Angst um Zivilisten im Gazastreifen ausdrücken? Müssen wir eine Seite wählen? Aber was bringt das?

Derweilen gehen wir Christen auf das Osterfest zu. Da starb ein Mensch am Kreuz und die meisten sahen zu – von der Seitenlinie. So richtig begreifen konnte das wahrscheinlich damals auch niemand, warum der da jetzt bluten soll. Der war doch harmlos.

Stellung beziehen oder neutral bleiben? Sich angreifbar oder es sich bequem machen? Welche Rolle spiele ich in einem scheinbar unlösbaren Konflikt?

An der Seitenlinie habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann teilnahmslose Zuschauerin sein oder aber, wie Simon von Cyrene, einen Teil der Last tragen, indem ich mitfühle. An beide Seiten. Indem ich das Leid, die Wut und die Angst Israels und der Menschen in Gaza gleichermaßen wahrnehme. Mitgefühl kann Hass aufweichen. Sie schenkt allen Leidenden des Konflikts Sichtbarkeit.

An der Seitenlinie müssen wir uns nicht für eine Seite entscheiden, sondern für beide.

Luise Binder, Freie Journalistin, Leipzig
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Ulrike Bohländer (fundus-medien)

Wahlinitiative der Kirchen in Sachsen

Die ökumenische Initiative »Für alle. Mit Herz und Verstand« möchte darauf hinweisen, dass für uns als Christinnen und Christen bei allen Wahlentscheidungen der Blick auf die Themen Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt orientierend sein sollte. “Wie die Universalität des Evangeliums selbst, sollte auch unser Denken, Entscheiden und Handeln stets auf das Wohl aller Menschen hin ausgerichtet sein”, so Landesbischof Tobias Bilz. Der Ausschluss Einzelner oder ganzer Gruppen sei damit nicht vereinbar. “Weiterhin sind wir als Menschen insgesamt, besonders aber als Christinnen und Christen, aufgerufen Herz und Verstand zusammenzubringen um gute Antworten auf die komplexen Fragen unserer Zeit zu finden”, heißt es in einem begleitenden Brief.

Die gemeinsame ökumenische Initiative zum Wahljahr 2024 verfolgt das Ziel, die Stimme der Kirche nach außen hör- und sichtbar werden zu lassen. Sie ist damit ein Beitrag der Kirchen zum gesellschaftlichen Diskurs.

Zum Wahljahr 2024 – Für alle. Mit Herz und Verstand. Ein Anliegen der Evangelischen und Katholischen Kirche in Sachsen (fuer-alle.info)

Vorfahrtsregel

Anna-Maria Busch über respektvolle Kommunikation

 „Jeder Mensch ist eine Insel.“, ist die Grundannahme im Kommunikationsmodell von Vera Birkenbihl. Wir sind individuell geprägt von persönlichen, kulturellen, sozialen Kontexten. Daraus leiten wir ab, was für uns jeweils als normal gilt. Treten wir nun mit anderen in Kommunikation, müssen wir unweigerlich Brücken zur Wirklichkeit des Gegenübers bauen mit der wertfreien Leitfrage: „Was ist dort normal?“. Sie nennt es Glück, wenn sich die Inseln überschneiden. Andernfalls erleben wir Fremdheit, Unverständnis und Ablehnung, erklären die eigene Wirklichkeit zur einzig wahren, werten die Gesprächspartner und -partnerinnen ab.

Dies ist derzeit an vielen Stellen spürbar. Schnell werden Vorwürfe in Tonalitäten formuliert, die verletzen, und andererseits wieder zu Vorwürfen und scharfen Urteilen führen. Ich bin erschüttert, wie Menschen in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden. Manchmal sind es verbale Hinrichtungen.

Birkenbihl formuliert deshalb eine Vorfahrtsregel für Kommunikation: Verstehen geht über Verstanden werden.

Nicht ich muss mich erklären und überzeugen, sondern ich brauche Empathie, Geduld und höre zu, um dem näher zu kommen, was mein Gegenüber sagen will. Das funktioniert umso besser, je mehr ich mir meinem „Insel-Hinterland“ bewusst bin und es reflektiere.

Schon Jesus gibt den Menschen eine ähnliche Respektsregel mit auf den Weg: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ (Matthäus 7,3) – eine Vorfahrtsregel für demütigen Respekt im Miteinander, die verstehende Kommunikation ermöglicht.

Anna-Maria Busch, Pfarrerin im Südosten
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Straßenkreuzung, Foto: Wolfgang Erler