Bibel, Koran und Tora etc. auf einem Bücherbrett nebeneinander

An der Seitenlinie

Der Gedanke zum Wochenende: Luise Binder über einen Balanceakt

Heute ist der Internationale Tag zur Bekämpfung der Islamfeindlichkeit. Puh. Und schon befinde ich mich im Dilemma.

Spätestens seit dem siebten Oktober bewegen wir uns, die wir gewissermaßen von der Seitenlinie auf den Konflikt zwischen Israel und der Hamas blicken, mit unseren Sympathien oder Antipathien immer zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Wie kann ich den Angriff auf Israel mit all seinen Gräueltaten aufs Tiefste verurteilen und zugleich meine Angst um Zivilisten im Gazastreifen ausdrücken? Müssen wir eine Seite wählen? Aber was bringt das?

Derweilen gehen wir Christen auf das Osterfest zu. Da starb ein Mensch am Kreuz und die meisten sahen zu – von der Seitenlinie. So richtig begreifen konnte das wahrscheinlich damals auch niemand, warum der da jetzt bluten soll. Der war doch harmlos.

Stellung beziehen oder neutral bleiben? Sich angreifbar oder es sich bequem machen? Welche Rolle spiele ich in einem scheinbar unlösbaren Konflikt?

An der Seitenlinie habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann teilnahmslose Zuschauerin sein oder aber, wie Simon von Cyrene, einen Teil der Last tragen, indem ich mitfühle. An beide Seiten. Indem ich das Leid, die Wut und die Angst Israels und der Menschen in Gaza gleichermaßen wahrnehme. Mitgefühl kann Hass aufweichen. Sie schenkt allen Leidenden des Konflikts Sichtbarkeit.

An der Seitenlinie müssen wir uns nicht für eine Seite entscheiden, sondern für beide.

Luise Binder, Freie Journalistin, Leipzig
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Ulrike Bohländer (fundus-medien)