Wann, wenn nicht jetzt

Grit Markert über einen guten Grund, nach Tokio zu fliegen

Es ist Buchmesse, wir sind mittendrin. Hier eine Kostprobe, eine Kurzgeschichte?

Sie ist 83, als sie ins Flugzeug steigt. Es geht nach Japan. Die einwöchige Rundreise hat sie bei einem Leipziger Reiseunternehmen gebucht. Englisch kann sie nicht. In Tokio wird sie zwei Tage Zeit haben. Zeit, um ihn zu treffen, vielleicht. Kennengelernt haben sie sich vor acht Jahren im Gewandhaus. Damals war neben ihr noch ein Platz frei. In der Pause hat er sich zu ihr vor gesetzt. Seitdem hat er sie schon einige Male besucht, wenn er wieder in Leipzig war.

Er ist Pianist. Schickt ihr Briefe mit Kranichen, ein Zeichen tiefer Verbundenheit. Nun will sie es wagen und ihn besuchen. Aber er meldet sich seit zwei Monaten nicht. Ist er krank? Woher soll sie es wissen. Sie fliegt trotzdem los, mit Gottes Segen. Im Hotel erwartet sie bereits eine Nachricht, dass das Taxi sie nachmittags 15 Uhr abholen und zu ihm bringen wird. Ja, er war krank, schwer krank. Drei Stunden haben sie zusammen Zeit. Drei Stunden zum Reden, Geschenke austauschen, sich an den Händen halten. Er spielt ihr etwas auf dem Klavier vor. Zurück zum Hotel, die Rundreise durch Japan geht weiter.

Wieder in Leipzig frage ich sie: Und, hat es sich gelohnt? Und sie antwortet: Oh ja, alles. Unbedingt.

Ich liebe diese wahre Geschichte von der Frau aus meiner Gemeinde. Und ich darf sie aufschreiben. Und Ihnen die Frage mitgeben: Was ist es bei Ihnen, bei dir, wo es heißt: Wann, wenn nicht jetzt?

Grit Markert, Pfarrerin/Coach im Alesius-Kirchspiel im Leipziger Osten
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Tobias Frick (fundus-medien)