Völkerschlachtdenkmal Leipzig

Denk mal!

Wolfgang Menz vom Klagen über Völker in Schlachten

Gelegentlich helfe ich als Laie bei Gottesdiensten. Als größte Herausforderungen erlebe ich die Fürbitten. Das Leid der Mitmenschen soll nicht vergessen werden. Aber so viel? Vor allem möchte ich nicht auf Gott schieben, was wir Menschen selber zu erledigen hätten. Einleuchtend ist mir, zu klagen: Über Leid, das Unschuldige tragen. Über Elend, das wir Menschen einander antun.

Es war heute auf den Tag vor 79 Jahren. Am Morgen des 19. April 45 forderte Goebbels „tapfer einen Kampf, der unausweichlich und unvermeidlich ist“. Am Vortag zogen US-amerikanische Soldaten in Leipzig ein. Doch vom Völkerschlachtdenkmal aus kämpften am 19. April 300 Soldaten, Volksstürmer und Hitlerjungen weiter. Noch einmal Tote und Verletzte. Dann explodierte ein Geschoss durch das Fenster im Inneren des Denkmals. Erst jetzt Verhandlungen. Das Ende in Trümmern. (Mehr dazu unter: spiegel.de/ Kalenderblatt 19.04.1945)

Wie viel Verblendung und Leiden waren damals. Von Menschen an Menschen. Ohne Vernunft und Verantwortung. Und heute: denk mal, die Völker schlachten wieder. Wer kann noch einen Wandel zu Frieden und zugleich Gerechtigkeit finden? Hier passt die Klage: Mein Gott, verlier du bloß nicht die Geduld mit uns. Alleine kriegen wir den Karren nicht mehr aus dem Dreck.

Wolfgang Menz, Sozialpädagoge

Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Völkerschlachtdenkmal Leipzig, Foto: Pixabay

Jeder kann zum Heiler werden

Daniel Heinze über eine Idee von Jesus, die nichts mit Quacksalberei zu tun hat Christinnen und Christen können andere Menschen heilen! So lautet eine Vorhersage von Jesus. In der Bibel steht, dass der auferstandene Jesus seinen Freunden auftrug: “Geht hinaus in die Welt, und verkündet die Frohe Botschaft allen Geschöpfen!” Die, die zum Glauben finden, werde man an ihren Handlungen erkennen: “Die Kranken, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden.”

Heil als Aufgabe für alle Gläubigen? Wie soll das gehen, wo ich doch von Medizin gar keine Ahnung habe? Unseriöse Quacksalber und Scharlatane gibt’s schon viel zu viele auf dieser Welt! Jetzt auch noch Christen, die sich als “Heiler” ausgeben?

Ich glaube, Jesus hatte keine medizinischen Wunder im Sinn. Für ihn war das eine logische Konsequenz: Wer den Glauben annimmt und es damit wirklich ernst meint, strebt nach einer Lebenshaltung, die auch anderen gut tut. So eine Art liebevolle Grundeinstellung der Welt und den Menschen gegenüber.

Denn alle haben Fähigkeiten, die für andere heilend sein können: das geduldige Zuhören, wenn nachts ein Freund anruft, dem es dreckig geht. Das In-den-Arm-nehmen, wenn jemand trauert. Die helfende Hand, wenn ich mit einer Aufgabe überfordert bin. Oder die Gabe, andere anzunehmen, so, wie sie sind.

Ja, die Zuwendung zu meinen Mitmenschen hilft. Sie spendet Trost und Nähe. Eine schöne Vision von Jesus für uns Menschen: Alle können und sollen zu Heilenden werden – und damit zum Segen für andere!

Daniel Heinze, Rundfunkjournalist

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Foto: Tobias Frick (fundus-medien)

Gewissensprüfung!?

Sebastian Schirmer zum Tag des Gewissens

Ich vermute, Sie kennen auch die hartnäckige Stimme, die nachfragt und meine Beweggründe auf den Prüfstand stellt. Oder andere: So erhoffen sich manche Menschen zum Beispiel von den Pandemieprotokollen des RKI eine Gewissensprüfung der Politik. Oder es ist nicht nur eine einzige Stimme: „Engel links, Teufel rechts…” sang die Band „Fettes Brot“ in den 90er Jahren. Einige Theologinnen und Theologen vermuten darin sogar das göttliche Endgericht. So oder so – es ist in vieler Munde und der 5. April ist ihm gewidmet: dem Gewissen. Was wir heute darunter verstehen, geht noch auf Martin Luther zurück. Nach ihm ist das Gewissen eine grundsätzlich freie, aber von äußeren Werten mitgeprägte Beurteilungsinstanz im Menschen selbst. Wie eine Art Geländer für Entscheidungen. Die sind ja dieser Tage schwieriger. Gerade im Hinblick auf die Wahlen dieses Jahres. Vielleicht sind sie sogar mit gutem Gewissen gar nicht zu haben. Aber ganz gewissenlos lassen sich keine guten Entscheidungen treffen, wie nicht zuletzt Despoten zeigen. Da mag so ein Tag, wie der 5. April, günstig sein für eine persönliche Gewissensprüfung. Wie bewahren Sie sich ein reines Gewissen? Martin Luther nahm seinen Glauben zu Hilfe. Der hilft mir auch, um im Gebet die Stimmen zumindest in einen ersten Dialog zu bringen. Und ein Dialog ist doch immer ein guter Anfang.

Sebastian Schirmer ist evangelischer Pfarrer in Leipzig.

Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Pixabay

Wissen, wie die Geschichte ausgeht

Friederike Ursprung über „Spoiler“ zum Karfreitag und Ostern

Ob ein lang erwarteter Film herauskommt oder die neue Staffel einer spannenden Serie – immer gilt: Bloß nicht spoilern! Bloß nicht vorher verraten, wer sich verliebt oder trennt, wer welche Intrigen anzettelt, ob jemand stirbt – und wie die Story ausgeht!

Eine andere große Geschichte kommt seit Jahrtausenden nicht ohne Spoiler aus – nämlich die, an die sich Christen in diesen Tagen erinnern: Was die Bibel über Jesus erzählt, wie er mit den Mächtigen in Jerusalem aneinandergeriet, wie er verraten und verhaftet wurde, angeklagt in einem skandalös unfairen Prozess, gefoltert, verspottet und schließlich am Kreuz hingerichtet.

Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt: Er, den seine Freunde als ihre große Hoffnung kennengelernt hatten, als den Sohn Gottes, er wird umgebracht.

Er selbst hatte das vorausgesehen und ihnen gesagt; sie wollten es nicht wahrhaben. Und hätten sie ständig den Spoiler im Kopf gehabt „er stirbt am Kreuz“, dann hätten sie die Zeit mit Jesus sicher nicht so wunderbar erlebt.

Und heute würden wir uns wohl kaum noch dran erinnern, wenn wir nicht seit 2000 Jahren wüssten, welche überraschende Wendung am dritten Tag folgte: Ostern feiern Christen die Auferstehung Jesu!

Denn anders als damals die Menschen in ihrer Trauer wissen wir, dass und wie die Geschichte weiterging – Gott sei Dank

Friederike Ursprung, evangelische Kirchenredakteurin bei Radio PSR
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Lutz Neumeier (fundus-medien)

Wann, wenn nicht jetzt

Grit Markert über einen guten Grund, nach Tokio zu fliegen

Es ist Buchmesse, wir sind mittendrin. Hier eine Kostprobe, eine Kurzgeschichte?

Sie ist 83, als sie ins Flugzeug steigt. Es geht nach Japan. Die einwöchige Rundreise hat sie bei einem Leipziger Reiseunternehmen gebucht. Englisch kann sie nicht. In Tokio wird sie zwei Tage Zeit haben. Zeit, um ihn zu treffen, vielleicht. Kennengelernt haben sie sich vor acht Jahren im Gewandhaus. Damals war neben ihr noch ein Platz frei. In der Pause hat er sich zu ihr vor gesetzt. Seitdem hat er sie schon einige Male besucht, wenn er wieder in Leipzig war.

Er ist Pianist. Schickt ihr Briefe mit Kranichen, ein Zeichen tiefer Verbundenheit. Nun will sie es wagen und ihn besuchen. Aber er meldet sich seit zwei Monaten nicht. Ist er krank? Woher soll sie es wissen. Sie fliegt trotzdem los, mit Gottes Segen. Im Hotel erwartet sie bereits eine Nachricht, dass das Taxi sie nachmittags 15 Uhr abholen und zu ihm bringen wird. Ja, er war krank, schwer krank. Drei Stunden haben sie zusammen Zeit. Drei Stunden zum Reden, Geschenke austauschen, sich an den Händen halten. Er spielt ihr etwas auf dem Klavier vor. Zurück zum Hotel, die Rundreise durch Japan geht weiter.

Wieder in Leipzig frage ich sie: Und, hat es sich gelohnt? Und sie antwortet: Oh ja, alles. Unbedingt.

Ich liebe diese wahre Geschichte von der Frau aus meiner Gemeinde. Und ich darf sie aufschreiben. Und Ihnen die Frage mitgeben: Was ist es bei Ihnen, bei dir, wo es heißt: Wann, wenn nicht jetzt?

Grit Markert, Pfarrerin/Coach im Alesius-Kirchspiel im Leipziger Osten
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Tobias Frick (fundus-medien)

Bibel, Koran und Tora etc. auf einem Bücherbrett nebeneinander

An der Seitenlinie

Der Gedanke zum Wochenende: Luise Binder über einen Balanceakt

Heute ist der Internationale Tag zur Bekämpfung der Islamfeindlichkeit. Puh. Und schon befinde ich mich im Dilemma.

Spätestens seit dem siebten Oktober bewegen wir uns, die wir gewissermaßen von der Seitenlinie auf den Konflikt zwischen Israel und der Hamas blicken, mit unseren Sympathien oder Antipathien immer zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Wie kann ich den Angriff auf Israel mit all seinen Gräueltaten aufs Tiefste verurteilen und zugleich meine Angst um Zivilisten im Gazastreifen ausdrücken? Müssen wir eine Seite wählen? Aber was bringt das?

Derweilen gehen wir Christen auf das Osterfest zu. Da starb ein Mensch am Kreuz und die meisten sahen zu – von der Seitenlinie. So richtig begreifen konnte das wahrscheinlich damals auch niemand, warum der da jetzt bluten soll. Der war doch harmlos.

Stellung beziehen oder neutral bleiben? Sich angreifbar oder es sich bequem machen? Welche Rolle spiele ich in einem scheinbar unlösbaren Konflikt?

An der Seitenlinie habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann teilnahmslose Zuschauerin sein oder aber, wie Simon von Cyrene, einen Teil der Last tragen, indem ich mitfühle. An beide Seiten. Indem ich das Leid, die Wut und die Angst Israels und der Menschen in Gaza gleichermaßen wahrnehme. Mitgefühl kann Hass aufweichen. Sie schenkt allen Leidenden des Konflikts Sichtbarkeit.

An der Seitenlinie müssen wir uns nicht für eine Seite entscheiden, sondern für beide.

Luise Binder, Freie Journalistin, Leipzig
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Ulrike Bohländer (fundus-medien)

Vorfahrtsregel

Anna-Maria Busch über respektvolle Kommunikation

 „Jeder Mensch ist eine Insel.“, ist die Grundannahme im Kommunikationsmodell von Vera Birkenbihl. Wir sind individuell geprägt von persönlichen, kulturellen, sozialen Kontexten. Daraus leiten wir ab, was für uns jeweils als normal gilt. Treten wir nun mit anderen in Kommunikation, müssen wir unweigerlich Brücken zur Wirklichkeit des Gegenübers bauen mit der wertfreien Leitfrage: „Was ist dort normal?“. Sie nennt es Glück, wenn sich die Inseln überschneiden. Andernfalls erleben wir Fremdheit, Unverständnis und Ablehnung, erklären die eigene Wirklichkeit zur einzig wahren, werten die Gesprächspartner und -partnerinnen ab.

Dies ist derzeit an vielen Stellen spürbar. Schnell werden Vorwürfe in Tonalitäten formuliert, die verletzen, und andererseits wieder zu Vorwürfen und scharfen Urteilen führen. Ich bin erschüttert, wie Menschen in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden. Manchmal sind es verbale Hinrichtungen.

Birkenbihl formuliert deshalb eine Vorfahrtsregel für Kommunikation: Verstehen geht über Verstanden werden.

Nicht ich muss mich erklären und überzeugen, sondern ich brauche Empathie, Geduld und höre zu, um dem näher zu kommen, was mein Gegenüber sagen will. Das funktioniert umso besser, je mehr ich mir meinem „Insel-Hinterland“ bewusst bin und es reflektiere.

Schon Jesus gibt den Menschen eine ähnliche Respektsregel mit auf den Weg: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ (Matthäus 7,3) – eine Vorfahrtsregel für demütigen Respekt im Miteinander, die verstehende Kommunikation ermöglicht.

Anna-Maria Busch, Pfarrerin im Südosten
Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Straßenkreuzung, Foto: Wolfgang Erler

Es fügt sich.

Der Gedanke zum Wochenende: Lüder Laskowski über Steuerabrechnungen, die Sinnsuche und eine hoffnungsvolle Aussicht

Zufrieden stecke ich ein paar Blätter Papier zwischen die Backen des Tackers und drücke fest zu. Klack. Die gehören zusammen. Von dem wilden Stapel Papier, der sich über das Jahr angesammelt hat, liegt nur noch ein Blatt. Es ist die Quittung für ein Buch, gekauft vor einem Jahr. Meine Gedanken gehen zurück. Da war die Welt noch in Ordnung!? Nein, war sie nicht. Dennoch bleibt das Gefühl, vieles wäre überschaubarer gewesen. Noch einmal macht es klack. Die Steuerunterlagen sind fertig.

Warum traue ich dem Gefühl, was mir im letzten Jahr passiert ist, gehört schon so zusammen? Obwohl ich den Verdacht habe, dass sich diese Einschätzung aus der genaueren Betrachtung der Einzelereignisse nicht ergeben würde. Mir kommt das schöne alte Wort „Fügung“ in den Sinn. Es ist aus der Mode gekommen. Lieber spricht man vom Zufall und verbietet sich damit, einen Sinn zu suchen. Das ist mir zu einfach. „Zufall ist vielleicht das Pseudonym Gottes, wenn er nicht selbst unterschreiben will.“ Diesen Satz hat mit einem Augenzwinkern der französische Schriftsteller Théophil Gautier gesagt. Ich würde ihm gern trauen. Und faktisch tue ich es Tag für Tag, weil es mir zum Leben hilft. Klack macht der Tacker. Zusammengebunden. Blatt für Blatt entsteht eine Ordnung. Ganz zuletzt werde ich dann einen Überblick haben.

Lüder Laskowski

Pfarrstelle „Stadtentwicklung – Sozialraum – Öffentlichkeit“

Kontakt: kolumne@kirche-leipzig.de

 

Foto: Tobias Frick (fundus-medien)