Am Küchentisch

„Wie lautet der Satz, den sie am liebsten hören, am meisten brauchen, der sie im Tiefsten tröstet?“ Auf diese Leserumfrage hin kamen tausende Zuschriften. Am häufigsten genannt wurde der Satz: Ich liebe Dich. Dann: Ich vergebe Dir. An dritter Stelle: Das Essen ist fertig.

Liebe und Vergebung sind meine täglichen Lebensmittel. Ohne sie würde mein Leben scheitern. Das leuchtet mir sofort ein. Überrascht war ich, dass ein so banaler Satz: „Das Essen ist fertig!“ gleich an dritter Stelle rangiert. Hätten Sie das vermutet? Was ist das Wertvolle an diesem Satz?

Die Realität ist doch, dass wir uns kaum Zeit zum Essen nehmen. Und dann noch mit anderen? Gemeinsame Mahlzeiten sterben immer mehr aus. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass so viele Menschen in unserer Stadt alleine leben. Verlernen wir etwas Wertvolles?

Als damals an Pfingsten die erste Kirche entstand, trafen sie sich täglich abends in ihren Häusern und teilten Leben, erzählten ihre Erlebnisse und aßen miteinander. Das hatte ihnen niemand befohlen. Es entstand von selbst. Zusammensein, erzählen und dabei essen. Das tat der Seele und dem Miteinander wohl. (Sollten wir in unseren Kirchen dringend neu entdecken!)

Am Küchentisch finden Menschen Freunde und eine Heimat. Und auf geheimnisvolle Weise ist der Gott des Friedens in ihrer Mitte. Öffnen Sie in den nächsten Tagen mutig ihre Tür und laden Nachbarn zu einem Essen ein. Sie werden staunen, wie sich Liebe und Versöhnung von selbst einstellen. Ich bin gespannt, was sie erzählen werden.

von André Krause, Pastor der Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde (Baptisten) Leipzig
a.krause@baptisten-leipzig.de

Hände, die ein Taube in den Himmel steigen lassen.

„Wenn ich nicht mehr weiter weiß…“

Ein entnervtes Stöhnen. „Geht es Euch auch so?“ fragt der Kollege. „Ich komme gar nicht mehr dazu Ideen oder notwendige Anliegen umzusetzen. Wenn ich im Amt nachfrage, reichen die es durch alle Abteilungen. Oder es wird in einem Gremium ergebnislos diskutiert und wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ´nen Arbeitskreis… Niemand will mehr Verantwortung für Entscheidungen übernehmen. Alles muss zehn Mal abgesichert werden und braucht unendlich viel Zeit. Kein Wunder, dass manche zivilen Ungehorsam als letztes Mittel sehen.“

Mir scheint, dies ist nicht allein ein kircheninternes Phänomen. Gefühlt höre ich derlei Beschreibungen allerorten.

Doch was passiert mit einer Gesellschaft, wenn alle mutlos und verzagt agieren?

Wenn alle sich fürchten vor dem nächsten Shitstorm oder gar juristischen Verfahren und deshalb niemand mehr Verantwortung für Entscheidungen übernehmen möchte?

Dieses Wochenende feiern wir Pfingsten. Eines der drei höchsten kirchlichen Feste. Zurück geht es auf die Überlieferung, dass nach Jesu Himmelfahrt alle verzagt waren. Wer war jetzt zuständig? Damals kamen Menschen von überall zusammen, sie wurden inspiriert von einem Geist, der sie freudig aufbrechen ließ, Neues zu wagen, der Vertrauen schenkte, so dass Menschen Verantwortung in ihren jeweiligen Bereichen übernahmen. Das Pfingstwunder ist Geburtsstunde der Kirche, so glauben wir Christinnen und Christen es.

Pfingsten inspiriert, der schöpferischen Geistkraft zu vertrauen, mutiger zu sein, voranzugehen, Gesellschaft zu gestalten. Das gibt Hoffnung – nicht nur für Gremien.

von Anna-Maria Busch, Pfarrerin im Leipziger Südosten
Anna-Maria.Busch@evlks.de

 

Foto: Peter Bongard (fundus-medien)

Das Wichtigste zuerst!

“Das Wichtigste zuerst!” Dieses Prinzip lernen Leute, die in den Medien arbeiten, gleich als Erstes. Sei es die Nachricht in der Tageszeitung, die Eilmeldung, die auf dem Handy aufploppt oder die Pressemitteilung eines Unternehmens – denen, die solche Texte erstellen, wird eingeschärft: am Anfang muss immer das stehen, was am Wichtigsten ist. Das, was alle unbedingt wissen müssen.

Erst dann folgen die Details, ist Raum für Hintergründe und Zusammenhänge. Ich erinnere mich an die Faustregel in meiner Ausbildung: eine gute, professionelle Pressemitteilung muss stets von hinten kürzbar sein. Darüber freuen sich alle, die die Mitteilung lesen und weiterverarbeiten.

“Das Wichtigste zuerst” – das ist auch sonst ein hilfreiches, gutes Prinzip für’s Leben. Die Menschen, Themen und Termine, die mir am meisten am Herzen liegen, sollten Vorrang haben. Familie, Freunde, ein Engagement im Ehrenamt vielleicht. Und, na klar, idealerweise ein Beruf, der mich erfüllt. “Das Wichtigste zuerst” – dieser Gedanke bewahrt mich davor, mich zu schnell in Nebensächlichem zu verlieren. Ein Prinzip, das Klarheit schafft und für Ordnung sorgt.

Das funktioniert aber nur, wenn ich überhaupt weiß, wo meine Prioritäten denn liegen. Es tut gut, sich das immer mal bewusst zu machen: Wer und was ist denn wirklich für mich das Wichtigste im Leben?

Daniel Heinze, Rundfunkjournalist
daheinze@gmail.com

 

Foto: Kirchenbezirk Leipzig

Nicht vergessen: heute Abend um sechs

Wieder sind es über 100 Bürgerinnen und Bürger, die im vergangenen Jahr bestattet wurden, ohne dass Verwandte sie auf ihrem letzten Weg begleiteten. Findet sich niemand, der für eine Beerdigung die Verantwortung übernimmt, tritt die Kommune stellvertretend ein. Eine Einäscherung findet statt. Noch einmal Stille. Dann senken Mitarbeitende der Friedhofsverwaltung die Urne in ein Grabfeld ein.

Niemand unter uns aber soll unbeachtet gehen. Darum nennen wir nochmals alle ihre Namen. Die Stadt Leipzig und der Stadt-Ökumene-Kreis gestalten dafür einen feierlichen Rahmen. Eine Todesanzeige lädt zum Kommen ein. Stille. Musik. Gedanken. Die verlesenen Namen legen wir in ein Buch. Dann der gemeinsame Weg zum Grabfeld.

Der Stadtrat wünschte die Gedenkfeier, nun findet sie zum fünften Male statt. Es ist eine Erinnerung an Lebenswege. Ein „Nicht-Vergessen“ als bürgerschaftliches und diakonisches Anliegen. Auch heute wieder, an der Kapelle auf dem Ostfriedhof, Oststraße 119.

Möchten Sie dabei sein? Dann sehen wir uns vielleicht heute Abend beim nicht Vergessen um sechs.

von Wolfgang Menz, Sozialpädagoge
wolfgang.menz.leipzig@gmail.com

 

Gedenkfeier unbekannt Verstorbene, Foto: Sebastian Keller

Öfter gegenwärtig sein

„Mein Gott, du bist so fluchtergreifend.“ Das ruft beim Geburtstagsbesuch die betagte Jubilarin aus, als ihr Enkel nach wenig mehr als einer halben Stunde bereits wieder aufspringt. Aus ihm sprudelt heraus, was er heute alles noch zu tun hat, während er zur Tür eilt. Mir leuchten die vielen guten Gründe ein und dennoch bleibt der Satz hängen.

Eigentlich heißt es ja „die Flucht ergreifen“. Wer das tut handelt aus der Not. Vom Anfang der Bibel bis in die Gegenwart hinein stehen Flüchtlinge für Verlust, Unsicherheit, Bedürftigkeit. Die Großmutter jedoch macht die Flucht zur Eigenschaft des Enkels. Er sei „fluchtergreifend“. Darin steckt ihre Enttäuschung über den schnellen Abgang. Es klingt mit: „Ich mag es, wenn du da bist.“ „Bleib doch ein wenig länger.“ Ich höre aber auch eine Warnung, aus der Lebenserfahrung spricht: „Pass auf, dass deine vielen Pläne nicht zum Dauernotausgang werden. Wer immer nur weg will, der ist nie ganz da. So zerrinnt das Leben zwischen den Fingern, weil da keine Gegenwart mehr ist.“

Jetzt bekommt auch der Ausruf „Mein Gott!“ einen tieferen Sinn. Er ist wie eine Rückbindung im Sturz nach vorn. Wer dem ewigen Gott in seinem Leben mehr Zeit gibt, für den weitet sich Lebensraum. In ihm findet sich Heimat in der Gegenwart.

von Lüder Laskowski, Pfarrstelle für „Kirchliche Arbeit in neuen Stadtquartieren“
lueder.laskowski@evlks.de

 

Foto: Tobias Frick (fundus-medien)

„Ich sehe was, was du (nicht) siehst“

Dieses Spiel kennen Sie bestimmt aus Kindertagen oder spielen es mit Ihren Kindern: Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist … Dann kommt eine Beschreibung zum Erraten.

Manchmal kinderleicht, denn eigentlich geht es ja darum: „Ich sehe was, was du auch sehen kannst – kommst du drauf?“

Die Kunst besteht darin, genau hinzusehen: Worauf passt die Beschreibung? Wir sehen doch beide dasselbe – was erkennst du, was vor meinem Blick versteckt ist – oder was habe ich übersehen?

Dasselbe vor Augen zu haben heißt nicht automatisch, es auch gleich zu sehen. Erst recht nicht, wenn es um mehr geht, als sich mit blauen Autos oder roten Blumen die Zeit zu vertreiben.

Was sehen Sie in ihrem Leben, in der Welt? Wie sehen Sie sie?

Gott sah seine Schöpfung an und sah, dass es gut war, so steht es am Anfang der Bibel. Juden und Christen loben Gottes Güte.

Sehen die etwa keine Krise, keinen Stress, keine Geldsorgen, keinen Streit?

Oder auch anders: Sehen manche etwas Falsches – oder Sündiges – in dem, was für andere Spaß oder Freiheit bedeutet?

Also: sehen gläubige Menschen, was andere nicht sehen: Hoffnung, Liebe – oder auch Lebensregeln, die ihnen wichtig sind?

Sehen sie was von einem Gott, der doch unsichtbar ist?

Ich sehe was, was du nicht siehst – das kann mehr sein als ein Kinderspiel zum Zeitvertreib!

 

von Friederike Ursprung, evangelische Kirchenredakteurin bei Radio PSR
friederike.ursprung@radiopsr.de

Foto: Lutz Neumeier (fundus-medien)

Mit gekreuzten Daumen

Ach du lieber Gott. Der sah doch ganz gesund aus. Nun das Krankenhaus. Gerade jetzt, wer macht das denn alles weiter für ihn?

Er berichtet uns. Offen, sachlich, auch betroffen. Vor dem OP-Termin kriegt er noch alles hin. Bis jetzt hatte er immer alles unter Kontrolle. Auf ihn ist Verlass. Ein Mann, ein Wort. Chef, Familienvater, Kirchvorsteher, Christ wie ich.

Zuerst ist Schweigen im Kreis. Etwas unsicher versuchen wir angemessen zu reagieren. Wollen Anteilnahme zeigen. Dabei aber nicht den Ernst der Situation oder gar seine ganz persönliche Offenheit überfordern. Ich frage, wie aussichtsreich der Eingriff sei. Aha! Mehr fällt mir spontan nicht ein.

Am Abend nehme ich Klappkarte und Stift zur Hand. Sein Briefkasten hängt ja in der Nachbarschaft. Mit welchen Worten könnte ich glaubwürdig reagieren? „Wird schon wieder“ – nein, das wäre weit von Mitgefühl und der Diagnose entfernt. „Kopf hoch“ – das muss man diesem Mann wirklich nicht sagen. Der lässt sich nicht hängen. Ganz im Gegenteil: Er wird demnächst gehängt: An Schläuche. An den Tropf. An die Hoffnung auf einen guten Verlauf.

„Ich drück dir die Daumen“, schreib ich. Allerdings „mit gekreuzten Daumen“. Das ergibt sich so. Beim Beten.

von Wolfgang Menz, Sozialpädagoge
wolfgang.menz.leipzig@gmail.com

 

Foto: Hans-Georg Vorndran (fundus-medien)

Aufgestanden!

„Ostern ist ein großes Fest“ platzt mein großes Kind, drei Jahre, auf dem Spielplatz plötzlich heraus. „Was feiern wir denn da?“ frage ich zurück. Prompt kommt die Antwort „Dass der Jesus aufgestanden ist!“

Christen auf der ganzen Welt begehen in diesen Tagen das Osterfest. Zentraler Kern ihres Glaubens ist, dass die Liebe ihres Gottes nicht einmal vor dem Tod halt macht. Jesus von Nazareth, ein jüdischer Wanderprediger, steht vor gut 2000 Jahren mit seiner Lehre und seinem Verhalten auf gegen Rücksichtslosigkeit, Unterdrückung, soziale Ungerechtigkeit, Krankheit und Krieg. Letztendlich erntet er von den Mächtigen seiner Zeit dafür den Tod. Er ist kein Superheld, der alles mühelos überwindet, sondern ein schwacher, verletzlicher, sterblicher Mensch. Er trägt sein Schicksal und tritt noch kurz vor seinem Tod für seine Feinde ein.

Aber Gott, der das alles zulässt, ist noch nicht am Ende: dieser Jesus, Gottes Auserwählter, steht selbst gegen den Tod auf! Ganz leiblich, das heißt nicht als körperloser Geist, der dann als ein Gespenst herumspukt, sondern als Mensch, den in den Tagen nach Ostern seine Freund:innen, die Jünger:innen, begegnen und sogar berühren können.

Diese Erfahrung der Jünger:innen mit dem „Aufgestandenen“ ruft sie heraus aus den Verstecken, in die sie sich vor lauter Angst nach dem Tod Jesu geflüchtet hatten. Sie stehen auf für ihren Glauben aus Trauer, Müdigkeit und Resignation. Sie ziehen in die Welt, verkünden und leben die Botschaft von Jesus allen Widerständen zum Trotz. Und dieser Ruf gilt sogar uns. Bis heute.

von Monika Lesch, katholische Gemeindereferentin
Monika.Lesch@pfarrei-bddmei.de

 

Foto: Lutz Neumeier (fundus-medien)